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#25/21 – Von der Vision zur Wertschöpfung: Wie Behörden Agentic AI souverän umsetzen

Die öffentliche Verwaltung steht vor einem Paradigmenwechsel. Agentic AI – autonome KI-Systeme, die komplexe Prozesse eigenständig ausführen – markiert den Übergang von reaktiven Chatbots zu zielorientierten digitalen Teamkollegen. Die zentrale Frage lautet nicht mehr, ob diese Technologie die Verwaltung transformieren wird, sondern wie dieser Wandel verantwortungsvoll und wertschöpfend gelingt.

Das Drei-Phasen-Modell: Strukturierter Pfad statt Experimentierchaos

Der Weg von der Pilotphase zur produktiven Implementierung folgt einer klaren Logik. Phase I (Strategie & Entdeckung) identifiziert wertstiftende Anwendungsfälle durch problemorientierte Workshops und bewertet die organisatorische Reife. Entscheidend ist dabei die datengestützte Prozessanalyse mittels Process Mining, die objektiv Engpässe aufdeckt und Automatisierungspotenziale quantifiziert.

Phase II (Konzeption & Implementierung) überführt Erkenntnisse in kontrollierte Pilotprojekte. Der Prozess wird mittels BPMN modelliert und in Teilaufgaben zerlegt, für die spezialisierte KI-Agenten entwickelt werden. Das Pilotprojekt dient primär dem Lernen, nicht der sofortigen Perfektion. Feedback-Mechanismen und Human-in-the-Loop-Muster stellen sicher, dass menschliche Expertise dort greift, wo sie erforderlich ist.

Phase III (Skalierung & Optimierung) bewältigt die kritische Hürde, an der viele KI-Initiativen scheitern. Die Überführung in den Produktivbetrieb erfordert einen detaillierten Skalierungsplan, der Governance-Anpassungen, Kompetenzaufbau und kontinuierliche Überwachung einschließt. Mitarbeiter werden zu Überwachern und Trainern ihrer digitalen Kollegen, was neue Formen der AI Literacy erfordert.

Souveränität als Fundament: Mehr als Datenhostings

Ein souveräner Ansatz stützt sich auf drei Säulen. Rechtliche Souveränität bedeutet strikte Einhaltung des EU AI Acts, dessen risikobasierter Ansatz für viele behördliche Anwendungen strenge Verpflichtungen nach sich zieht: Risikobewertung, Datenqualität zur Vermeidung von Diskriminierung, lückenlose Protokollierung und angemessene menschliche Aufsicht.

Ethische Souveränität verankert demokratische Werte im Systemdesign. Der US-amerikanische Blueprint for an AI Bill of Rights ergänzt die rechtlichen Vorgaben durch fünf Kernprinzipien: sichere und effektive Systeme, Schutz vor algorithmischer Diskriminierung, Datenschutz, Transparenz über KI-Einsatz sowie menschliche Alternativen und Eskalationspfade.

Technologische Souveränität vermeidet Vendor Lock-in durch modulare, offene Architekturen. Die strategische Entscheidung für interoperable Standards sichert langfristig die Kontrolle über eingesetzte Technologien und ermöglicht Exit-Strategien.

Die Verankerung dieser Prinzipien erfordert klare Governance-Strukturen: einen Chief AI Officer als zentrale Verantwortung, ein interdisziplinäres AI Governance Board für strategische Entscheidungen und ein operatives AI Safety Team für technische Risikobewertung. RACI-Matrizen schaffen Transparenz über Zuständigkeiten und verhindern Verantwortungslücken.

Wertschöpfung messbar machen: Von Inputs zu Impact

Die Erfolgsmessung muss über technische Metriken hinausgehen. Ein Wirkungslogik-Modell strukturiert die gesamte Wertschöpfungskette: von investierten Ressourcen (Inputs) über durchgeführte Aktivitäten und direkte Ergebnisse (Outputs) bis zu mittelfristigen Leistungsverbesserungen (Outcomes) und langfristigen strategischen Zielen (Impact).

Der Return on Investment folgt einer phasenspezifischen Logik. In der Pilotphase liegt der primäre Return im Lernen und in der Risikominimierung, nicht in direkten Kosteneinsparungen. Erst in der Skalierungsphase rücken klassische finanzielle ROI-Metriken in den Vordergrund. Dieser Ansatz steuert Erwartungen von Führungskräften und sichert die notwendige Geduld für nachhaltige Transformation.

Konkrete Anwendungsfälle zeigen das Potenzial: Die Bundesagentur für Arbeit automatisiert Service-Desk-Anfragen und verifiziert jährlich über 150.000 Studienbescheinigungen mit KI-Systemen. Die Generalzolldirektion pilotiert Anomalieerkennung bei Importen. Diese Beispiele belegen einen pragmatischen, problemorientierten Ansatz. Die Herausforderung liegt nun im Übergang von isolierten Insellösungen zu systemischer Adaption.

Internationale Vorreiter als Orientierung

Estland demonstriert die Zukunft proaktiver Bürgerdienste. Der Staat antizipiert Bedürfnisse auf Basis von Lebensereignissen und leitet Verwaltungsleistungen automatisch ein. Das Fundament bilden eine landesweite digitale Identität, die Datenaustauschplattform X-Road und eine zentrale Governance durch das Government Chief Information Office. Das ultimative Ziel von Agentic AI ist nicht, bestehende Prozesse schneller zu machen, sondern sie aus Bürgerperspektive verschwinden zu lassen.

Die Lektion für Deutschland: Gemeinsame Plattformen und Kompetenzzentren können die Adaption auf allen Verwaltungsebenen beschleunigen. Der föderale Kontext und strenge Datenschutzanforderungen erfordern einen besonders sorgfältigen Ansatz, bieten aber die Chance, dem Fachkräftemangel in der öffentlichen Verwaltung wirksam zu begegnen.

Handeln in drei Zeithorizonten

Sofortmaßnahmen für die ersten 90 Tage: Etablierung eines zentralen AI Governance Boards, AI-Literacy-Initiative für Führungskräfte und Start eines Process-Intelligence-Projekts für einen ineffizienten Kernprozess.

Mittelfristige Weichenstellungen: Formalisierung der KI-Strategie mit Priorisierung von zwei bis drei Pilotprojekten, Modernisierung der Dateninfrastruktur zum Aufbrechen kritischer Datensilos und Verankerung des Risikomanagement-Frameworks im Projektlebenszyklus.

Langfristige Vision: Förderung einer Kultur des sicheren Experimentierens, organisatorische Neugestaltung hin zu interdisziplinären agentischen Teams und Entwicklung einer Roadmap für proaktive, unsichtbare Bürgerdienste.

27.10.2025, Olaf Dunkel, http://www.olafdunkel.de

© 2025 Dieser Beitrag beruht auf eigenständiger Recherche und Analyse diverser Quellen; eine KI leistete lediglich sprachliche Unterstützung, die inhaltliche Verantwortung trägt ausschließlich der Autor.

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