Die Künstliche Intelligenz (KI) steht an der Schwelle, das Gesundheitswesen weltweit grundlegend zu transformieren. Von der Optimierung betrieblicher Abläufe bis hin zu KI-gestützten Diagnosesystemen verspricht sie Effizienzsteigerung, Kostensenkung und eine nachhaltige Verbesserung der Patientenversorgung. Der globale Markt für KI im Gesundheitswesen befindet sich in einer Phase dynamischen Wachstums, mit Prognosen, die einen rasanten Anstieg von geschätzten 32,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf voraussichtlich 208,2 Milliarden US-Dollar bis 2030 voraussagen. Dieses Wachstum wird durch signifikante Investitionen getragen, insbesondere in innovative Start-ups und spezifische Anwendungsfelder wie die Medikamentenentwicklung. Doch während einige Nationen eine Vorreiterrolle einnehmen, zeigt sich in der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) ein komplexes Bild zwischen Ambition und Implementierungsrealität. Dieser Beitrag beleuchtet kritisch den Stand der KI-Adoption im Gesundheitswesen der DACH-Länder, mit besonderem Fokus auf Deutschland, und analysiert die Gründe für bestehende Rückstände im internationalen Vergleich.
Globale KI-Vorreiter: Ein Maßstab für die DACH-Region
Weltweit positionieren sich mehrere Nationen als führende Akteure im Bereich KI im Gesundheitswesen, indem sie ambitionierte Strategien verfolgen und erhebliche Investitionen tätigen. Die USA gelten als Vorreiter, was sich in erheblichen Risikokapitalinvestitionen (prognostiziert 11,1 Milliarden US-Dollar im Bereich Healthcare-KI für 2024) und einer hohen Adoptionsrate widerspiegelt: 68% der Ärzte sahen 2024 Vorteile im KI-Einsatz, und 66% nutzten bereits entsprechende Tools in ihrer Praxis. Der regulative Ansatz ist eher fragmentiert und sektorspezifisch, wobei die Durchsetzung oft nach der Markteinführung erfolgt.
China verfolgt das ehrgeizige Ziel, bis 2030 ein weltweites KI-Innovationszentrum zu werden, untermauert durch substanzielle staatliche Investitionen und politische Rahmenwerke. Ein Schwerpunkt liegt auf der Anwendung von KI zur Bewältigung von Herausforderungen wie steigenden Gesundheitskosten und einer alternden Bevölkerung, insbesondere in der medizinischen Bildgebung und Medikamentenentwicklung. Die chinesische KI-Industrie im Kernbereich soll bis 2030 einen Wert von über 1 Billion Yuan (ca. 140,9 Milliarden US-Dollar) erreichen.
Israel zählt beständig zu den Top-10-Nationen hinsichtlich privater Investitionen und F&E im Bereich KI. Das Land profitiert von einer hohen Konzentration an KI-Talenten und einem nationalen Programm für KI (2021-2026) mit einem Budget von ca. 1 Milliarde NIS, das die Zugänglichmachung einzigartiger medizinischer Datenbanken für F&E fördert.
Auch die skandinavischen Länder, beispielsweise Schweden, verfügen über hoch digitalisierte Gesundheitssysteme und zeigen eine fortschreitende, wenn auch regional heterogene, Implementierung von KI. Mit 179 KI-Initiativen im Gesundheitswesen, hauptsächlich in Diagnostik und administrativen Prozessen, ist der Fokus auf praktische Anwendungen und Forschungsexzellenz erkennbar.
Diese globalen Beispiele zeigen, dass ein erfolgreicher Weg der KI-Integration eine Kombination aus staatlicher Förderung, privaten Investitionen, Talentförderung und der Schaffung adaptiver regulatorischer Rahmenbedingungen erfordert. Sie dienen als wichtiger Maßstab für die DACH-Region.
Die DACH-Region im Fokus: Zwischen Ambition und Aufholbedarf
Die DACH-Region weist trotz geografischer Nähe und ähnlicher Gesundheitssystemstrukturen unterschiedliche Geschwindigkeiten und Schwerpunkte bei der Adoption von Künstlicher Intelligenz im Krankenhaussektor auf.
Deutschland: Langsame Fortschritte trotz massiver Investitionen
Deutschland hat in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranzutreiben, was sich in verschiedenen Gesetzen und Initiativen widerspiegelt. Die „Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege“ des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zielt auf Patientensouveränität, verbesserte Versorgungsqualität und Effizienzsteigerung ab. Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) stellte bis zu 4,3 Milliarden Euro für die Modernisierung und Digitalisierung der Krankenhäuser bereit. Studien des Digitalverbands Bitkom zeigen eine wachsende Offenheit der Ärzteschaft gegenüber KI (78% sehen darin eine Chance) und eine mehrheitliche Zustimmung der Bevölkerung zum KI-Einsatz (75%).
Trotz dieser Initiativen und positiven Einstellungen hinkt Deutschland im internationalen Vergleich bei der Digitalisierung der Krankenhäuser noch hinterher. Die #SmartHealthSystems-Studie der Bertelsmann Stiftung (Stand 2018) sah Deutschland auf Platz 16 von 17 untersuchten Ländern. Auch wenn die zweite Erhebung des DigitalRadar Krankenhauserhebung (2024 vs. 2021) signifikante Fortschritte in allen Dimensionen der Digitalisierung zeigt (der durchschnittliche DR-Score stieg von 33 auf 42,1 Punkte), bleibt ein Aufholbedarf internationaler Spitzenwerte bestehen. Die Breitbandanbindung hat sich zwar stark verbessert (93% verfügen nun über mehr als 500 MBit/s), die Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA) war Mitte 2023 jedoch noch sehr gering (unter 1%). Obwohl die Opt-Out-Regelung ab 2025 die Nutzung deutlich steigern soll und 71% der Bevölkerung die ePA nutzen wollen, ist dies ein Indikator für die bisherige langsame Implementierung.
Die größten Herausforderungen für Deutschland bei der KI-Implementierung sind die Interoperabilität von Systemen, die Datenqualität und -verfügbarkeit, der Fachkräftemangel, datenschutzrechtliche Bedenken (DSGVO), unklare Haftungsfragen und die Akzeptanz der ePA. Auch Cybersicherheit ist ein kritischer Punkt, für den das BSI Orientierungshilfen bietet. Die Umsetzung des EU AI Act, der KI-Systeme im Gesundheitswesen oft als Hochrisiko-Systeme einstuft, stellt zudem eine zentrale Aufgabe dar.
Österreich: Eine digitale Basis mit Raum für Intensivierung
Österreich verfolgt mit seiner KI-Strategie „AIM AT 2030“ und dem dazugehörigen KI-Umsetzungsplan (ab 2024) einen menschenzentrierten Ansatz, um sich als Forschungs- und Innovationsstandort für KI zu positionieren. Die „eHealth-Strategie Österreich“ (Juli 2024) fokussiert auf digitalen Zugang, Verfügbarkeit eigener Gesundheitsdaten und den Ausbau telemedizinischer Angebote. Die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) ist seit 2016 als Opt-out-System eingeführt und mittlerweile flächendeckend in Krankenhäusern verfügbar, die e-Medikation ist seit Herbst 2019 im niedergelassenen Bereich ausgerollt.
Im internationalen Vergleich der Digitalisierung des Gesundheitswesens belegte Österreich 2018/2020 laut #SmartHealthSystems-Studie Platz 10 und lag damit im Mittelfeld. Eine Studie von MedMedia (Dezember 2023) bescheinigte Österreich jedoch einen der hinteren Plätze bei der digitalen Reife von Krankenhäusern, mit einem heterogenen Digitalisierungsgrad einzelner Einrichtungen. Das Einsparpotenzial durch Digitalisierung wird auf bis zu 4,7 Mrd. Euro jährlich geschätzt.
Die Herausforderungen in Österreich liegen in der konsequenten Umsetzung, der flächendeckenden Integration von ELGA über alle Sektoren hinweg und der Steigerung der digitalen Kompetenz in der Bevölkerung und bei den Gesundheitsdienstleistern. Die Anbindung an MyHealth@EU wird ein wichtiger Schritt zur grenzüberschreitenden Interoperabilität sein.
Schweiz: Hohe Qualität, aber zögerliche Digitalisierung
Die Schweiz verfügt über ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem. Dennoch hinkt sie bei der Digitalisierung im Vergleich zu anderen Lebensbereichen und international hinterher. Das Programm „DigiSanté“ (2025–2034) soll dies ändern, indem es die Qualität der Behandlung, Patientensicherheit und Effizienz durch digitale Transformation erhöhen will. Die Schweiz verfolgt keinen eigenen „Swiss AI Act“, sondern setzt auf die Ratifizierung der KI-Konvention des Europarats und gezielte, sektorspezifische Anpassungen bestehender Gesetze. Der EU AI Act hat aufgrund des Marktortprinzips dennoch Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen, die KI-Systeme in der EU anbieten.
Die Einführung des elektronischen Patientendossiers (EPD) erfolgt seit Anfang 2021 schrittweise, aber Akzeptanz und Nutzung sind noch gering. Der Swiss eHealth Barometer 2025 zeigt, dass die Bevölkerung Datenschutzbedenken und administrativen Aufwand als Hürden sieht, während Gesundheitsfachpersonen oft am praktischen Nutzen zweifeln. Ältere Studien bestätigen, dass Schweizer Spitäler bei der Digitalisierung hinterherhinken und viele Potenziale, insbesondere in der digitalen Begleitung des Patientenpfades, ungenutzt bleiben. Finanzielle Engpässe und unzureichende Investitionen in IT und Digitalisierungsprojekte (durchschnittlich 2,5% des Umsatzes in 2024) sind signifikante Hürden.
Die größten Herausforderungen für die Schweiz sind die geringe EPD-Nutzung und -Akzeptanz, mangelnde Interoperabilität, Finanzierungsprobleme (Investitionsstau in Spitälern), Datenschutzbedenken und ein fehlender „digital mindset“.
DACH im globalen Vergleich: Eine kritische Gap-Analyse
Im Vergleich zu den internationalen Vorreitern wie den USA, China und Israel weist die DACH-Region in einigen Bereichen deutlichen Aufholbedarf auf.
- KI-Adoptionsrate in Kliniken: Während in den USA bereits 66% der Ärzte KI-Tools nutzen, ist die Implementierung in DACH-Kliniken über Pilotprojekte hinaus noch weniger verbreitet, auch wenn die Bereitschaft wächst.
- Datenverfügbarkeit und -nutzung: Trotz Initiativen wie dem GDNG in Deutschland oder dem geplanten Ausbau von ELGA/EPD ist die Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten für Forschung und KI-Entwicklung in der DACH-Region restriktiver und technisch herausfordernder im Vergleich zu Ländern wie Israel oder China, die über umfassendere landesweite elektronische Gesundheitsakten verfügen. Das World Economic Forum betont die Notwendigkeit global vernetzter, aber lokal kontrollierter Datensätze.
- Interoperabilität: Die vollständige semantische Interoperabilität – das einheitliche Verständnis von Dateninhalten über Systemgrenzen hinweg – ist eine weiterhin bestehende Baustelle in der DACH-Region. Länder wie Estland sind hier bereits weiter fortgeschritten.
- Regulatorische Agilität vs. Sicherheit: Die EU (und damit Deutschland und Österreich direkt, die Schweiz indirekt) setzt mit dem AI Act auf einen stark regulierten, risikobasierten Ansatz für KI-Systeme im Gesundheitswesen. Während dies Vertrauen schaffen kann, birgt es auch die Gefahr, Innovationen im Vergleich zu flexibleren Regulierungsregimen (z.B. in Teilen der USA) zu verlangsamen.
- Öffentlich-Private Partnerschaften: Während in führenden Nationen oft starke Ökosysteme aus öffentlicher Hand, Forschung und Privatwirtschaft bestehen, könnte die Intensität und Struktur solcher Kooperationen in der DACH-Region weiter ausgebaut werden.
Implikationen für KI-Anwendungen und Berufsbilder
Die angesprochenen Herausforderungen bei der Digitalisierung und Dateninfrastruktur haben direkte Auswirkungen auf die Implementierung und Skalierung von KI-Anwendungen in DACH-Krankenhäusern. Während KI in der medizinischen Bildgebung (Radiologie, Pathologie) bereits weit entwickelt ist und über 70% der FDA-Zulassungen für KI im Gesundheitswesen bildgebende Anwendungen betreffen, bleibt die breite Einführung vollautonomer Systeme in der DACH-Region noch aus. Die Studie des Inselspitals Bern, die keinen messbaren Vorteil von KI-basierten Diagnosesystemen in Notaufnahmen feststellte, unterstreicht die Notwendigkeit sorgfältiger, kontextspezifischer Validierung.
Die dominante Form der KI wird weiterhin die „Augmented Intelligence“ sein, die menschliche Fähigkeiten erweitert und unterstützt, anstatt sie zu ersetzen. Der EU AI Act schreibt für Hochrisiko-KI-Systeme explizit eine menschliche Aufsicht vor. Dies erfordert eine Transformation der Berufsbilder: Medizinisches Personal benötigt neue Kompetenzen im Umgang mit KI-Werkzeugen, in der Dateninterpretation und im kritischen Verständnis von KI-Systemen. Die Entstehung neuer Berufe wie Clinical Data Scientists wird erforderlich sein. Ohne proaktive Investitionen in Bildungs-, Trainings- und Umschulungsprogramme riskiert die DACH-Region einen Fachkräftemangel, der die KI-Adoption weiter ausbremst.
Fazit und Ausblick: Der Weckruf ist notwendig
Die DACH-Region steht an einem kritischen Punkt bei der Integration von KI im Gesundheitswesen. Während Deutschland mit signifikanten Investitionen und strategischen Vorgaben wie dem KHZG und der Digitalisierungsstrategie eine Beschleunigung der KI-Adoption anstrebt und erste Fortschritte im Digitalisierungsgrad der Krankenhäuser erzielt, bleiben grundlegende Herausforderungen wie die Interoperabilität der Systeme, die Qualität und Verfügbarkeit von Daten sowie die Akzeptanz und Nutzung digitaler Infrastrukturen (insbesondere der ePA) bestehen. Österreich und die Schweiz, die in einigen Bereichen digital weiter fortgeschritten sind, kämpfen ebenfalls mit heterogenen Implementierungsständen und Akzeptanzproblemen bei ihren elektronischen Patientenakten.
Der Weckruf ist deutlich: Die DACH-Länder müssen die Umsetzung des EU AI Acts zügig und praxistauglich gestalten, um Rechtssicherheit zu schaffen und gleichzeitig Innovationen nicht übermäßig zu hemmen. Eine nachhaltige Förderung von Forschung, Entwicklung und vor allem interoperabler Dateninfrastrukturen ist unerlässlich. Dies schließt die konsequente Durchsetzung internationaler Standards (z.B. FHIR) für den Datenaustausch ein. Darüber hinaus ist die Stärkung der digitalen Gesundheitskompetenz in der gesamten Bevölkerung und bei allen Fachkräften von entscheidender Bedeutung, um Vertrauen in KI-Anwendungen aufzubauen und Ängste abzubauen. Ohne eine entschlossenere und koordiniertere Anstrengung aller Akteure – Krankenhäuser, Politik und Industrie – droht die DACH-Region, das transformative Potenzial der KI im Gesundheitswesen nicht voll auszuschöpfen und im internationalen Wettbewerb weiter zurückzufallen. Es bedarf einer Abkehr von isolierten Einzelmaßnahmen hin zu einer abgestimmten, regionalen Strategie, die nicht nur technologische Entwicklung, sondern auch die menschliche und infrastrukturelle Dimension berücksichtigt. Nur so kann die DACH-Region aus ihrem digitalen Dornröschenschlaf erwachen und ihre Rolle als führender Standort für verantwortungsvolle und innovative KI im Gesundheitswesen festigen.
Von: Olaf Dunkel – https://www.olafdunkel.de
© 2025 Dieser Beitrag beruht auf eigenständiger Recherche und Analyse diverser Quellen;
eine KI leistete lediglich sprachliche Unterstützung, die inhaltliche Verantwortung trägt ausschließlich der Autor.
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