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#25/3 – EU-Regulierung: Bremsklotz oder Gütesiegel? Warum DSA und AI Act Europa zur KI zweiter Klasse machen könnten.

Die Welt befindet sich im Rausch der Künstlichen Intelligenz. Von ChatGPT bis zu autonomen Fahrzeugen – KI verändert rasant Wirtschaft und Gesellschaft. Im Herzen Europas will auch der DACH-Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) an der Spitze dieser Revolution mitmischen, gestützt auf seine starke industrielle Basis, exzellente Forschung und Ingenieurskunst. Doch während aus dem Silicon Valley und China täglich neue, oft disruptive KI-Anwendungen fluten, scheint sich die Europäische Union vor allem auf eines zu konzentrieren: Regulierung.

Mit dem Digital Services Act (DSA) und dem AI Act hat die EU ein ambitioniertes Regelwerk geschaffen, das den digitalen Raum sicherer, transparenter und vertrauenswürdiger machen soll. Das erklärte Ziel: Grundrechte schützen, den Nutzer in den Mittelpunkt stellen und ein europäisches Modell für verantwortungsvolle Technologie etablieren. Doch hinter diesen löblichen Absichten verbirgt sich eine provokante These: Könnte die EU, und damit auch der DACH-Raum, sich mit diesem Ansatz ins Abseits manövrieren? Droht uns durch die hohe Regulierungsdichte der Status einer „KI zweiter Klasse“ – sicher, ethisch, aber eben nicht an der Spitze der Innovation?

Dieser Beitrag wirft einen kritischen Blick auf die potenziellen Auswirkungen von DSA und AI Act auf die Innovationslandschaft im DACH-Raum und beleuchtet die Gefahr, dass gut gemeinte Regeln die Innovationskraft hemmen könnten.

  • Das regulatorische Doppelpack: DSA und AI Act kurz erklärt

Um die Auswirkungen zu verstehen, müssen wir kurz die Kernpunkte der beiden Gesetze betrachten:

  • Der Digital Services Act (DSA): Er zielt primär auf Online-Plattformen und Vermittlungsdienste ab. Er regelt den Umgang mit illegalen Inhalten („Was offline illegal ist, ist auch online illegal“ ), fordert mehr Transparenz bei Werbung und Algorithmen und erlegt insbesondere sehr großen Plattformen (VLOPs) weitreichende Pflichten zur Risikobewertung und -minderung auf. Für KI bedeutet das: Wer KI-Systeme auf Plattformen einsetzt (z. B. für Moderation oder Empfehlungen), muss die DSA-Regeln beachten.
  • Der AI Act: Dieses Gesetz ist das weltweit erste umfassende Regelwerk speziell für Künstliche Intelligenz. Es verfolgt einen risikobasierten Ansatz und teilt KI-Systeme in Kategorien ein: von „verboten“ (z. B. Social Scoring durch Behörden ) über „hohes Risiko“ (z. B. KI in Medizin, Verkehr oder Personalwesen ) bis hin zu „begrenztes“ oder „minimales Risiko“. Für Hochrisiko-KI gelten strenge Auflagen wie Datenqualitäts-Checks, Risikomanagement, menschliche Aufsicht und Konformitätsbewertungen. Auch Allzweck-KI (GPAI), wie die Modelle hinter ChatGPT, erhält eigene Regeln.

Beide Gesetze greifen oft ineinander: Ein soziales Netzwerk im DACH-Raum, das KI zur Inhaltsmoderation nutzt, muss sowohl die DSA-Prozessregeln als auch die AI-Act-Anforderungen an das KI-System selbst erfüllen. Das schafft ein dichtes, aber auch komplexes regulatorisches Netz.

  • Die DACH-Region im Spannungsfeld: Stärken treffen auf Hürden

Der DACH-Raum bringt eigentlich ideale Voraussetzungen für eine führende Rolle in der KI mit:

  • Starker Mittelstand: Innovative KMU sind das Rückgrat der Wirtschaft.
  • Industrielle Exzellenz: Insbesondere im B2B-Bereich und bei Industrie 4.0 gibt es eine hohe Expertise.
  • Forschung & Entwicklung: Eine dichte Landschaft an Universitäten und Forschungsinstituten.
  • Fokus auf Qualität & Sicherheit: Ein traditionell hohes Bewusstsein für zuverlässige und sichere Technologien.

Doch genau hier könnten die EU-Regulierungen zu besonderen Herausforderungen führen:

  1. Das „Bürokratie-Monster“ trifft den Mittelstand: Der AI Act, insbesondere die Anforderungen an Hochrisiko-KI, erzeugt einen erheblichen Compliance-Aufwand. Dokumentation, Risikomanagement, Audits – all das kostet Zeit und Geld. Während große Tech-Konzerne ganze Rechtsabteilungen dafür haben, könnten KMU und Start-ups im DACH-Raum von diesen Kosten überfordert werden. Die Gefahr besteht, dass etablierte (oft außereuropäische) Konzerne paradoxerweise gestärkt werden, während kleine, innovative Akteure auf der Strecke bleiben.
  2. Hochrisiko-Falle für B2B-KI: Viele Stärken des DACH-Raums liegen in industriellen Anwendungen – KI in Maschinen, Logistik, Medizintechnik. Viele dieser Systeme könnten unter die „Hochrisiko“-Kategorie des AI Act fallen, was die strengsten Auflagen nach sich zieht. Das könnte die Entwicklung gerade in diesen Kernkompetenzfeldern verteuern und verlangsamen.
  3. Open Source in Gefahr? Die DACH-Region hat eine lebendige Forschungs- und Entwicklerszene, die stark auf Open Source setzt. Es bestehen Bedenken, dass die Regeln des AI Act, insbesondere für GPAI-Modelle, offene und kollaborative Projekte überfordern könnten. Wenn Open-Source-Modelle den gleichen strengen Anforderungen unterliegen wie kommerzielle Systeme, könnte dies die akademische Freiheit und die Innovationskraft aus der Community heraus beschneiden.
  4. Argumente für die „KI zweiter Klasse“: Die Risiken der Überregulierung

Die These, dass Europa Gefahr läuft, bei KI ins Hintertreffen zu geraten, stützt sich auf mehrere konkrete Risiken:

  • Verlangsamung durch Bürokratie: Lange Konformitätsbewertungsverfahren und komplexe Dokumentationspflichten können die „Time-to-Market“ erheblich verlängern. Während in anderen Teilen der Welt schnell experimentiert und skaliert wird, könnten DACH-Unternehmen in Warteschleifen feststecken. In einem so dynamischen Feld wie KI kann ein Zeitverlust schnell den Anschluss kosten.
  • „Innovation Outflow“ und „Brain Drain“: Wenn die Hürden zu hoch und die Unsicherheiten zu groß sind, könnten Unternehmen und Talente abwandern. Warum ein KI-Startup im DACH-Raum gründen, wenn die USA oder Asien weniger Restriktionen und vielleicht mehr Wagniskapital bieten? Die Gefahr ist real, dass Investitionen und kluge Köpfe dorthin gehen, wo der Weg zur Innovation einfacher erscheint.
  • Angst vor dem Risiko („Chilling Effects“): Hohe Strafen (bis zu 7% des weltweiten Umsatzes ) und die Furcht, gegen komplexe Regeln zu verstoßen, können zu einer übermäßigen Vorsicht führen. Unternehmen könnten davor zurückschrecken, wirklich bahnbrechende, aber potenziell als „riskant“ eingestufte KI-Projekte anzugehen und sich stattdessen auf sichere, aber weniger innovative Nischen konzentrieren.
  • Globale Wettbewerbsnachteile: Wenn DACH-Unternehmen höhere Kosten und langsamere Entwicklungszyklen haben, wird es schwierig, auf dem globalen Markt mit agileren Wettbewerbern mitzuhalten. Der erhoffte „Brussels Effect“ – dass die Welt die EU-Standards übernimmt – ist keineswegs garantiert. Es besteht auch das Risiko eines „Fortress Europe“-Szenarios, bei dem die EU zwar hohe Standards hat, aber global den Anschluss verliert, weil andere Regionen abweichende Wege gehen.
  • Fokus auf Risiko statt Nutzen: Kritiker bemängeln, dass der AI Act Risiken überbetont und die enormen potenziellen Vorteile von KI nicht ausreichend würdigt. Ein zu starker Fokus auf das, was schiefgehen könnte, kann den Blick auf das verstellen, was Gutes entstehen kann, und vielversprechende Innovationen im Keim ersticken.
  • „Trustworthy AI“ – Gütesiegel oder Feigenblatt?

Die EU setzt auf „Trustworthy AI“ – vertrauenswürdige KI – als Markenzeichen und potenziellen Wettbewerbsvorteil. Die Idee: Kunden weltweit werden sichere und ethische KI „Made in Europe“ bevorzugen. Das passt grundsätzlich gut zur Qualitäts- und Sicherheitsorientierung im DACH-Raum.

Doch die Frage bleibt: Kann man gleichzeitig führend in Vertrauen und führend in Innovation sein? Oder schließt das eine das andere tendenziell aus, weil Vertrauen durch Kontrolle und damit durch Verlangsamung entsteht?

Zudem hängt der Erfolg stark von der Umsetzung ab. Wenn die neuen Aufsichtsbehörden (wie das AI Office oder die nationalen DSCs ) unterfinanziert sind oder uneinheitlich agieren, droht ein „Papiertiger“. Dann hätten DACH-Unternehmen die Compliance-Lasten, ohne dass die versprochenen Vorteile von Sicherheit und Vertrauen wirklich eintreten. Das wäre das schlechteste Szenario: gebremste Innovation ohne echten Mehrwert.

  • Ausblick für den DACH-Raum: Navigieren im Regulierungsmeer

Die Würfel sind gefallen, DSA und AI Act sind Realität. Für den DACH-Raum bedeutet das eine Gratwanderung. Die Gefahr, durch Überregulierung zur „KI zweiter Klasse“ zu werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Die potenziellen Hemmnisse – Kosten, Bürokratie, Langsamkeit, Risikoaversion – sind erheblich, insbesondere für den innovativen Mittelstand und die Start-up-Szene.

Doch das Schicksal ist nicht besiegelt. Es kommt entscheidend darauf an, wie der DACH-Raum und die EU nun agieren:

  1. Smarte Implementierung: Es braucht klare, praxisnahe Leitlinien und Standards, um Rechtsunsicherheit zu minimieren.
  2. Effektive Unterstützung: KMU und Start-ups benötigen gezielte Hilfe, um die Compliance-Lasten zu stemmen. Instrumente wie Reallabore (Regulatory Sandboxes) müssen zugänglich und wirksam sein.
  3. Schutz für Open Source & Forschung: Es müssen klare Ausnahmen und Erleichterungen geschaffen werden, um die offene Forschung und Entwicklung nicht abzuwürgen.
  4. Agile Anpassung: Die Regulierung muss flexibel bleiben und regelmäßig überprüft werden, um auf technologische Entwicklungen reagieren zu können.
  5. Internationaler Dialog: Die EU darf sich nicht isolieren, sondern muss aktiv den Austausch mit anderen Regionen suchen, um Standards zu harmonisieren und Fragmentierung zu vermeiden.

Die EU hat mit DSA und AI Act einen ambitionierten Weg eingeschlagen, um die digitale Zukunft nach ihren Werten zu gestalten. Für den DACH-Raum birgt dieser Weg Chancen, aber eben auch erhebliche Risiken. Es wird eine gemeinsame Anstrengung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erfordern, um sicherzustellen, dass „Trustworthy AI“ nicht zum Synonym für „Second-Class AI“ wird und der Innovationsmotor im Herzen Europas nicht ins Stottern gerät.

Von: Olaf Dunkel – http://www.olafdunkel.de

© 2025 Dieser Beitrag beruht auf eigenständiger Recherche und Analyse diverser Quellen;
eine KI leistete lediglich sprachliche Unterstützung, die inhaltliche Verantwortung trägt ausschließlich der Autor.

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