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#25/27 – Deutschlands stille Amtsstuben-Revolution: 5 Fakten, die das Ende der Software-Monopole einläuten

Die stille Revolution in Deutschlands Amtsstuben

In den Amtsstuben der Republik vollzieht sich ein fundamentaler Wandel, der weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit stattfindet. Der Einsatz von Open-Source-Software (OSS) in der deutschen öffentlichen Verwaltung ist nicht länger eine freundliche Empfehlung oder ein Lippenbekenntnis in Sonntagsreden. Er hat sich zu einer rechtlichen und wirtschaftlichen Notwendigkeit entwickelt. Dieser Wandel ist ein Paradigmenwechsel, angetrieben von drei starken Kräften: rechtlichem Zwang, erdrückendem finanziellem Druck und einer nie dagewesenen technologischen Reife. Die Ära der Unverbindlichkeit ist beendet. Dieser Artikel beleuchtet die fünf überraschendsten und folgenreichsten Erkenntnisse aus dieser stillen Revolution.

Es ist kein Wunsch mehr, sondern Gesetz: Die Beweislast hat sich umgekehrt

Mit dem Onlinezugangsgesetz 2.0 (OZG 2.0) hat der Gesetzgeber eine historische Zäsur vollzogen. Es schreibt erstmals explizit einen „Vorrang für Open Source Software“ fest. Was dies strategisch bedeutet, ist nichts weniger, als dass die Rebellion zur Staatspolitik geworden ist.

Entscheidend ist hierbei eine fundamentale Umkehr der bisherigen Logik. Früher musste der Einsatz von Open Source aufwendig begründet werden, während proprietäre Software als Standard galt. Heute hat sich die Beweislast umgekehrt: Der Einsatz von proprietärer Software muss gerechtfertigt werden, wenn eine funktional gleichwertige OSS-Alternative existiert.

Diese „Beweislastumkehr“ ist eine massive Veränderung. Die Konsequenz für jede IT-Leitung ist unmissverständlich: Sie zwingt jede Vergabestelle, ihre bisherige Beschaffungspraxis fundamental zu überdenken. Der Rechtfertigungsdruck gegenüber Rechnungsprüfungsämtern steigt enorm und macht die Entscheidung für geschlossene Systeme zu einem rechtlichen Risiko. Doch dieser rechtliche Wandel wäre zahnlos, wenn er nicht auch ökonomisch zwingend wäre – und die Zahlen sind deutlicher als je zuvor.

Es geht nicht um Peanuts, sondern um Millionen: Der Business Case ist erdrückend

Die Praxis widerlegt den hartnäckigen Mythos, Open Source sei durch versteckte Kosten für Wartung und Support am Ende teurer. Die ökonomischen Fakten zeichnen ein erdrückendes Bild.

Das Bundesland Schleswig-Holstein liefert den eindrucksvollsten Beweis: Durch die Reduzierung und das Einfrieren von Microsoft-Verträgen auf dem Weg zum „Souveränen Arbeitsplatz“ hat das Land über einen Fünfjahreszeitraum bereits 6,8 Millionen Euro eingespart. Nach Abschluss der Migration werden dauerhafte jährliche Einsparungen von 1,7 Millionen Euro prognostiziert. Allgemeinere Studien bestätigen diesen Trend und zeigen, dass OSS-basierte Infrastrukturen eine um bis zu 34 % niedrigere Total Cost of Ownership (TCO) aufweisen können.

Was dies strategisch bedeutet, ist eine bewusste Entscheidung über den Geldfluss: Diese Mittel fließen nicht als Lizenzgebühren ins Ausland, sondern stehen für Schulen, Straßen oder dringend benötigtes Personal zur Verfügung. Es ist eine Investition in lokale IT-Kompetenz und Wertschöpfung statt in die Gewinnmargen ausländischer Softwarekonzerne.

Die Ausrede „Es gibt keine Alternativen“ ist endgültig vom Tisch

Das vielleicht stärkste Argument gegen den Einsatz von Open Source war lange Zeit die angebliche Alternativlosigkeit zu den etablierten Produkten. Dieses Argument ist heute nicht mehr haltbar. Das technische Rückgrat der digitalen Souveränität Deutschlands, die Plattform Open CoDE, ist vom Pilotprojekt zur kritischen Infrastruktur gereift. Sie ist die praktische Antwort auf das gesetzliche Mandat des OZG 2.0.

Die Zahlen für 2025 belegen die Reife dieses Ökosystems: Auf Open CoDE sind über 1.710 Nutzende aktiv, die in mehr als 860 Projekten zusammenarbeiten. Dieses Arsenal an praxiserprobten Werkzeugen gibt der gesetzlichen Beweislastumkehr erst ihre wahre Durchschlagskraft. Dort finden sich strategisch wichtige Lösungen, die sofort einsetzbar sind, wie zum Beispiel:

  • OpenDesk: Der souveräne digitale Arbeitsplatz als umfassende Alternative zu Microsoft 365, der Office, Mail, Videokonferenzen und Kollaboration abdeckt.
  • Civitas Core: Eine quelloffene urbane Datenplattform, die es Städten und Gemeinden ermöglicht, Smart-City-Konzepte umzusetzen, ohne sich in teure Abhängigkeiten von Konzernen zu begeben.

Diese Entwicklung entkräftet das letzte große Argument gegen OSS und macht den Grundsatz „Search before Build“ (erst suchen, dann entwickeln) zur neuen, unumgänglichen Pflichtübung für jede Kommune.

Open Source ist eine überraschende Klimaschutz-Strategie

Ein oft übersehener, aber zunehmend wichtigerer Vorteil von Open Source liegt in der ökologischen Nachhaltigkeit (Green IT). Der Wechsel zu quelloffener Software entpuppt sich als wirksame und unkonventionelle Klimaschutz-Strategie.

Das Beispiel der Stadt Dortmund zeigt dies eindrücklich. Linux-basierte Systeme sind oft ressourcenschonender und laufen auch auf älterer Hardware performant. Dies verlängert die Lebensdauer von Geräten signifikant und vermeidet Elektroschrott, der durch die erzwungenen Hardware-Anforderungen neuer proprietärer Betriebssysteme entsteht.

Noch beeindruckender ist die Kennzahl aus dem Rechenzentrum der Stadt: Dort konnten der Stromverbrauch und der damit verbundene CO2-Ausstoß seit 2014 um 50 % gesenkt werden. Dies wurde auch durch effizientere Softwarearchitekturen erreicht, wie sie die Open-Source-Welt fördert. Dieser Punkt verändert das Narrativ fundamental: Es geht nicht mehr nur um Kosten und Souveränität, sondern auch darum, als Verwaltung greifbare ökologische Verantwortung zu übernehmen.

Es ist keine IT-Migration, es ist eine Emanzipation

Der Wechsel zu Open Source ist im Kern kein rein technischer Prozess. Er ist ein strategischer Akt zur Rückgewinnung staatlicher Handlungsfähigkeit. Das größte Risiko der bisherigen IT-Landschaft ist der sogenannte „Vendor Lock-in“ – die gefährliche Abhängigkeit von einzelnen, marktbeherrschenden Herstellern. Diese diktieren Preiserhöhungen, erzwingen teure Cloud-Abonnements und agieren nach einer „Friss oder stirb“-Mentalität.

Open Source durchbricht diesen Lock-in. Da der Quellcode offen ist, entsteht ein Wettbewerb zwischen Dienstleistern. Wenn Dienstleister A die Preise für den Betrieb einer Software ungerechtfertigt erhöht, kann die Verwaltung Dienstleister B beauftragen, den Betrieb nahtlos zu übernehmen. Die Software bleibt dieselbe, nur der Partner wechselt. Dies stellt den Wettbewerb wieder her und gibt der öffentlichen Hand die Preishoheit zurück.

Die strategische Dimension dieses Wandels lässt sich kaum treffender zusammenfassen als mit den folgenden Worten:

Wir befinden uns im Übergang vom Lippenbekenntnis zur Pflichtübung – einer Pflichtübung, die, wenn sie strategisch genutzt wird, zur größten Emanzipation der Verwaltung seit Jahrzehnten führen kann.

Der Wechsel zu Open Source ist somit mehr als ein technisches Update. Es ist die Befreiung aus digitalen Abhängigkeiten und die Wiederherstellung der digitalen Souveränität des Staates.

Zum Schluss: Pflichtübung oder Kür zur Souveränität?

Nach Jahrzehnten der technologischen Abhängigkeit steht Deutschland an einem Scheideweg. Der Wandel hin zu Open Source ist nicht länger eine Option unter vielen, sondern die Konsequenz aus rechtlichen Vorgaben, ökonomischem Druck und technologischer Realität. Dies ist das flüchtige Zeitfenster, in dem die Weichen für die digitale Zukunft der Verwaltung neu gestellt werden können, um die Fesseln proprietärer Monopole endgültig abzustreifen.

Die entscheidende Frage ist nun: Werden Deutschlands Verwaltungen diese Pflichtübung nur als Bürde ansehen oder sie als die größte Chance zur digitalen Emanzipation seit Jahrzehnten aktiv gestalten?

02.12.2025, Olaf Dunkel

© 2025 Dieser Beitrag beruht auf eigenständiger Recherche und Analyse diverser Quellen; eine KI leistete lediglich sprachliche Unterstützung, die inhaltliche Verantwortung trägt ausschließlich der Autor.

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