Während die nächste Generation von KI („Agentic AI“) das Potenzial hat, bis zu 50 % der Verwaltungsprozesse zu automatisieren, trifft diese Technologie auf eine grundlegend unvorbereitete administrative Infrastruktur. Doch der Handlungsdruck entsteht nicht aus technischem Enthusiasmus, sondern aus blanker Not: Bis 2030 gehen ca. 27 % der Verwaltungsmitarbeiter in Pension. Die entscheidende Hürde ist daher nicht die KI, sondern die Sanierung der eigenen organisatorischen Grundlagen.

Der Quantensprung: Was „Agentic AI“ wirklich bedeutet
Der Übergang von generativer zu „agentischer“ KI markiert einen Paradigmenwechsel. Statt nur Befehle auszuführen, verfolgen diese Systeme autonom Ziele. Ein Auftrag lautet nicht mehr „Schreibe eine E-Mail“, sondern „Kläre den fehlenden Nachweis“. Die KI orchestriert den Prozess selbstständig: Sie prüft den Status im Fachverfahren, versendet die Mahnung, erstellt eine Wiedervorlage und protokolliert den Vorgang im DMS.
Zwei Kernfähigkeiten treiben dies voran: Erstens das verbesserte logische Schlussfolgern („Deep Reasoning“), das die Subsumtion eines Sachverhalts unter eine Rechtsnorm ermöglicht. Zweitens die Fähigkeit, riesige Dokumentenmengen wie eine komplette Bauakte im Kontext zu analysieren und präzise Fragen dazu zu beantworten.
Dieser technologische Tipping Point wird für 2025/2026 erwartet. Die Verwaltung hat es dann nicht mehr mit einem besseren Chatbot zu tun, sondern mit einem System, das die Kernkompetenzen des gehobenen Dienstes digital abbilden kann.
Die kommende KI-Generation ist kein Chatbot-Update, sondern ein autonomer digitaler Mitarbeiter mit Fachkompetenz.
Die Realität: Deutschlands Verwaltung als „Ferrari auf dem Feldweg“
Vier zentrale Defizite blockieren den Einsatz moderner KI. Erstens die mangelnde Datenqualität: Administratives Wissen ist in unstrukturierten PDFs gefangen, während Datensilos ohne eine „Single Source of Truth“ KI-Halluzinationen provozieren. Das Risiko: die automatisierte Erstellung rechtlich nicht haltbarer Bescheide.
Zweitens die veraltete IT-Landschaft. Monolithische Fachverfahren ohne moderne APIs verhindern die agile Echtzeit-Interaktion, die KI-Agenten benötigen. Stattdessen werden Daten per nächtlichem Batch-Export bereitgestellt – unbrauchbar für Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen.
Drittens das Prozessdesign nach dem OZG 1.0, das als „Digitalisierung der Ineffizienz“ beschrieben wird. Digitale Frontends münden intern häufig in manuelle Prozesse und Medienbrüche, an denen jeder KI-gestützte Workflow sofort zum Erliegen kommt.
Viertens der regulatorische Druck: Der EU AI Act klassifiziert essenzielle Verwaltungsleistungen wie Sozialhilfe als Hochrisiko-Systeme. Mangelhafte Datenqualität wird damit von einem technischen Problem zu einem direkten Compliance-Verstoß.
Ohne eine tragfähige Basis aus strukturierten Daten, modernen Schnittstellen und durchgängig digitalen Prozessen bleibt das Potenzial jeder KI ungenutzt.
Der Ausweg: Fokus auf Fundament statt Fassade
Die strategische Konsequenz ist eine radikale Fokusverschiebung: weg von reinen „Frontend-Leuchtturmprojekten“, hin zu einer konsequenten „Backend-Sanierung“. Hier liegen die wahren Hebel für eine zukunftsfähige Verwaltung.
Die Registermodernisierung ist dabei die alternativlose Voraussetzung („Conditio sine qua non“). Nur sie ermöglicht die Durchsetzung des Once-Only-Prinzips und gibt einer KI die verlässliche Datengrundlage, um Fakten zu prüfen, statt sie zu erfinden.
Als föderalismusfreundliche Lösungsarchitektur bietet sich das Konzept des „Data Mesh“ an. Anstatt alle Daten in einen zentralen Topf zu zwingen, werden sie dezentral als standardisierte, nutzbare Produkte bereitgestellt. Der demografische Wandel erzwingt diesen Schritt ohnehin – Automatisierung wird zur Pflicht.
Die entscheidenden KI-Projekte sind keine KI-Projekte, sondern die Modernisierung von Registern und die Etablierung einer souveränen Datenarchitektur.
Das Warten auf die perfekte KI-Lösung ist der falsche Ansatz. Ohne eine gezielte Backend-Sanierung droht die Verwaltung in eine unkontrollierbare „Schatten-KI“-Krise zu steuern, während die eigentliche Aufgabe die Vorbereitung der eigenen Organisation ist.
Die entscheidende Frage für 2025 lautet daher nicht, was die nächste KI kann, sondern: Haben wir bis dahin unsere Hausaufgaben bei Daten und Prozessen gemacht?
[26.11.2025], Olaf Dunkel, http://www.olafdunkel.de
© 2025 Dieser Beitrag beruht auf eigenständiger Recherche und Analyse diverser Quellen; eine KI leistete lediglich sprachliche Unterstützung, die inhaltliche Verantwortung trägt ausschließlich der Autor.
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