Drücke „Enter“, um zum Inhalt zu springen

#25/12 – NOOTS – Bundes‑Daten-autobahn oder Föderales Fehlkonstrukt?

Deutschlands Verwaltung träumt seit Jahren vom digitalen Durchbruch. Nach gescheiterten Projekten wie De‑Mail oder der holprigen Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) soll nun das Nationale Once‑Only Technical System (NOOTS) den gordischen Knoten zerschlagen. Befürworter sprechen von einer „Datenautobahn“, die Register sicher verknüpft und Antragsprozesse automatisiert . Doch kann ein einzelnes System tatsächlich die föderalen Bremsen lösen – und wie passt es zu den EU‑weiten Bestrebungen einer strengen Daten‑ und KI‑Governance?

Was ist NOOTS?

NOOTS ist die technische Plattform, über die Bundes‑ und Landesregister künftig Daten austauschen. Herzstücke sind die Secure Access Nodes (SAN) als geschützte Gateways, eine Registerdaten‑Navigation für das Auffinden relevanter Nachweise und ein Identitäts‑ und Berechtigungsmanagement. Die BSI‑Richtlinie TR‑03176 definiert dafür Ende‑zu‑Ende‑Verschlüsselung, Protokollierung und ein granular abgestuftes Berechtigungsmodell . Ein Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern wurde im Juni 2025 ohne Einspruch des Bundesrates zur Ratifizierung freigegeben . 

Die kritische Brille: Föderalismus als Dauerbaustelle

Die deutsche Verwaltungs‑IT gleicht seit Jahrzehnten einem Flickenteppich. Jedes Land – oft sogar jede Kommune – betreibt eigene Portale und Register. Eine Plattformlogik, wie sie NOOTS voraussetzt, widerspricht dieser historisch gewachsenen Autonomie. Bisherige Großprojekte zeigen, dass Koordination, Finanzierung und Zuständigkeiten massive Verzögerungen verursachen:

– Das OZG‑Ziel von 575 flächendeckend verfügbaren Online‑Leistungen bis Ende 2022 wurde krachend verfehlt; Anfang 2024 waren erst 153 Leistungen bundesweit online – bei gleichbleibendem Tempo dauert die Vollumsetzung neun weitere Jahre . 

– Unterschiedliche Fachverfahren, divergierende Datenschutz­interpretationen und politische Rivalitäten machen jedes bundesweite Registerprojekt zur Herkulesaufgabe. 

– Studien sprechen deshalb von einem „digitalen Flickenteppich“, den der Föderalismus ohne strukturelle Reformen nicht auflösen könne .

NOOTS will hier Zentralität schaffen, ohne das Grundgesetz anzutasten. Doch solange jedes Land eigene Prioritäten setzt und IT‑Budgets im Landtag verhandelt werden, droht auch NOOTS zum kleinsten gemeinsamen Nenner zu schrumpfen. Kritiker warnen: Wird ein Land nicht rechtzeitig angebunden, entsteht erneut ein Zwei‑Klassen‑E‑Government – nur diesmal auf der Datenautobahn.

EU‑Schub oder Zusatzlast? – NOOTS im Lichte der AI‑ und Daten‑Regulierung

Gleichzeitig zieht Brüssel die Daumenschrauben an. Die Single Digital Gateway‑Verordnung verpflichtet alle Mitgliedstaaten, ab Dezember 2023 grenzüberschreitende Nachweise automatisiert auszutauschen . NOOTS ist hierfür der deutsche Andockpunkt zum europäischen Once‑Only‑System (EU‑OOTS).  

Noch gewichtiger ist die 2024 verabschiedete EU‑KI‑Verordnung (AI Act) . Sie verlangt lückenlose Data Governance für KI‑Systeme und verschärft Haftungs­fragen bei Datenqualität und Bias. Registerdaten, die über NOOTS fließen, könnten damit zu „Hochrisiko‑Daten“ werden, sobald Behörden KI‑gestützte Entscheidungsprozesse einführen (z. B. bei automatisierten Förderbescheiden). Das bedeutet:

– Nachweispflichten: Behörden müssen künftig dokumentieren, welche Datensätze wie verarbeitet wurden und ob sie den Zweck angemessen repräsentieren. 

Rechenschaft über Datenherkunft: Das Once‑Only‑Prinzip darf nicht dazu führen, dass Datenblindflug betrieben wird; wer Daten via NOOTS importiert, trägt Verantwortung für Bias und Aktualität. 

Interoperabilität im EU‑Rechtsrahmen: Nationale Sonderwege sind riskant – NOOTS muss europäische Standards wie EBSI‑Wallets und die künftigen Common European Data Spaces unterstützen.

Mit anderen Worten: NOOTS wird am Tag seiner Geburt bereits von strenger EU‑Regulierung flankiert. Der Hebel kann positiv wirken – europäische Deadlines zwingen Bund und Länder, endlich einheitliche Schnittstellen zu bauen. Zugleich steigen die Compliance‑Kosten und machen den Betrieb komplexer.

Warum könnte NOOTS trotzdem der Game‑Changer sein?

1. Architektur „Security‑by‑Design“: TR‑03176 erzwingt verschlüsselte Kanäle, Audit‑Logs und rollenbasierte Berechtigungen. Anders als bei De‑Mail werden diese Vorgaben vor dem Roll‑out verankert – nicht nachträglich geflickt . 

2. Rechtliche Verbindlichkeit: Der Staatsvertrag schafft erstmals eine gemeinsame Ownership von Bund und Ländern: Betrieb, Finanzierung und Release‑Zyklen sollen gemeinschaftlich beschlossen werden . 

3. EU‑Druck als Katalysator: Das Nicht‑Erreichen der SDG‑Frist hätte Vertragsverletzungs­verfahren nach sich gezogen. NOOTS ist somit kein Nice‑to‑have, sondern alternativlos. 

4. Synergie mit BundID und Registermodernisierung: Durch die Steuer‑ID als eindeutiges Personenkennzeichen wird Dubletten­bereinigung erleichtert; NOOTS kann echte End‑to‑End‑Automatisierung ermöglichen – vorausgesetzt, Datenschutzcockpit und Opt‑In‑Mechanismen werden zeitgleich realisiert. 

5. Schrittweiser Roll‑out: Eine Referenzumgebung erlaubt seit Q1/2025 Test­anbindungen. Frühzeitiges „Trockenschwimmen“ reduziert Integrations­risiken. 

Offene Baustellen und Risiken

Finanzierungslücke: Viele Kommunen zweifeln, ob es ausreichende Mittel für die Anpassung ihrer Fachverfahren gibt. OZG‑Lehren zeigen, dass fehlende Folge­budgets Projekte ausbremsen. 

Komplexe Governance: Wer haftet, wenn falsche Daten einreisen? Im föderalen Verbund könnten Haftungs­kaskaden entstehen. 

Akzeptanz und Datenschutz: Die Umdeutung der Steuer‑ID stößt weiterhin auf verfassungsrechtliche Bedenken; ein transparentes Datenschutz‑Cockpit existiert bisher nur als Konzept. 

Technische Schulden: Legacy‑Bestände (COBOL‑Systeme) in Ländern drohen zum Integrations­hindernis zu werden. 

Zum Schluß

NOOTS ist kein Allheilmittel, aber wahrscheinlich die am besten durchdachte Infrastrukturmaßnahme seit Beginn der deutschen E‑Government‑Ära. Seine Erfolgschancen hängen weniger von der Technik als von politischem Willen und nachhaltiger Finanzierung ab. Der Föderalismus muss beweisen, dass er Kooperation über Konkurrenz stellen kann. Gleichzeitig zwingt der EU‑Rechtsrahmen dazu, Daten‑ und KI‑Governance konsequent mitzudenken. Gelingen diese Kunststücke, könnte NOOTS tatsächlich zur Bundes‑Datenautobahn werden – andernfalls droht der nächste digitale Stau.


Hören Sie eine Audio-Zusammenfassung des Beitrags.

Von: Olaf Dunkel – https://www.olafdunkel.de

© 2025 Dieser Beitrag beruht auf eigenständiger Recherche und Analyse diverser Quellen;
eine KI leistete lediglich sprachliche Unterstützung, die inhaltliche Verantwortung trägt ausschließlich der Autor.

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert